Allianz MTV Stuttgart hat in der Volleyball-Champions-League historisches geleistet und zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte ein Viertelfinalspiel im höchsten europäischen Wettbewerb gewonnen. Gegen den eigentlich übermächtigen Gegner aus Istanbul setzte sich das Team von Konstantin Bitter vor einer herausragenden Kulisse am Ende mit 3:2 (22:25, 26:24, 19:25, 25:20, 15:10) durch.
Es gibt dieses Lied der US-amerikanischen Rockband „Journey“. „Don’t stop believing“ heißt es, man soll also nie aufhören, an etwas zu glauben. Vor dem Champions-League-Viertelfinalhinspiel gegen Fenerbahce Istanbul war auf Stuttgarter Seite natürlich zu vernehmen, dass man es dem Gegner schwer machen wolle, dass man an sich selbst glaube. Und das in der SCHARRena alles möglich ist, das ist ohnehin längst bekannt. Was sich aber am Dienstagabend in der Halle im Neckarpark abspielte, das hätte wohl niemand so gedacht.
Als Eline Timmerman den Matchball zum 15:10 auf den Stuttgarter Boden im Istanbuler Feld stopfte, da brach es aus dem Team, dem Staff, der gesamten SCHARRena heraus. Nach all der nervlichen Anspannung, nach etwas mehr als zwei Stunden Spielzeit mussten die Emotionen einfach raus. Sportdirektorin Kim Renkema sprintete über das Feld, um sich der Jubeltraube anzuschließen, die Spielerinnen tanzten im Kreis. Und auch die Tribünen der restlos ausverkauften SCHARRena bebten. Roosa Koskelo war nach dem Spiel sprachlos, Mittelblockerin Eline Timmerman konnte auch einfach nur noch durchschnaufen. Und über allem überwog der Stolz. Der Stolz über das zuvor geleistete. Da hatte man gerade dem wohl größten Topfavoriten des Wettbewerbs die ersten beiden Sätze im Turnierverlauf abgetrotzt und den Krimi im Tie-Break auf die eigene Seite gezogen. Fenerbahce Istanbul, mit Topstars wie Melissa Vargas oder Arina Fedorovtseva war in die Schranken gewiesen worden, von einer überragenden Mannschaftsleistung. Krystal Rivers ragte mit ihren 23 Punkten und der MVP-Auszeichnung am Ende wieder einmal heraus, doch auch eine Roosa Koskelo, welche unmenschliche Bälle rauskratzte, eine Jolien Knollema mit einem quasi perfekten ersten Satz hatten ihren Anteil. Eine Jovana Mirosavljevic, für die Annahme gekommen und mit einem Ass die Wende im Tie-Break eingeleitet, die emotionale Leaderin Maria Segura, Matchballvollstreckerin Eline Timmerman. Konstantin Bitters kluge Auszeiten. Und eigentlich müsste man an dieser Stelle alle Namen des Teams samt Staff aufzählen. Was eine überragende Leistung gegen dieses Star-Ensemble vom Bosporus.
Bereits vor dem Spiel war klar, dass die SCHARRena wohl die hitzigste Atmosphäre in ihrer Geschichte erleben würde. Über 400 türkische Schlachtenbummler hatten sich angekündigt, die angereisten Fans machten dann auch ordentlich Stimmung. Doch auch das Stuttgarter Publikum hielt stimmungstechnisch einmal mehr überragend dagegen, sodass die Halle schon beim Einlauf der Teams einem Hexenkessel glich. Cheftrainer Konstantin Bitter vertraute auf die Formation aus dem Liga-Heimsieg gegen Potsdam, sie sollte den Stars von „Fener“ Paroli bieten. Und das gelang zu Beginn exzellent. Jolien Knollema spielte wohl die Anfangsphase ihrer Karriere, organisierte die ersten zwei Stuttgarter Punkte, auch Krystal Rivers mischte mit. Nach einem Tip der niederländischen Nummer Zehn führte Stuttgart mit 8:6, die Halle war voll da. Und obwohl Konstantin Bitter ob eines Fenerbahce-Laufs in der Folge seine erste Auszeit ziehen musste – Allianz MTV Stuttgart war früh in dieser Begegnung angekommen. Vor allem dank Jolien Knollema, die Außenangreiferin schickte den Ball erst longline ins gegnerische Feld, dann schob sie den Block hinterher – 10:11. Aber auch Istanbul agierte mit höchster Seriosität, wollte den Gegner in der eigenen Halle nicht ins Rollen kommen lassen. So erspielten sich die Gäste einen Sechs-Punkte-Vorsprung, den Eline Timmerman mit ihrem Block halbieren konnte – Auszeit Fenerbahce. Durch einen Rivers-Block und eine Eigenfehler des Favoriten verkürzte Allianz MTV beim 21:22 gar auf einen Punkt, musste aber letztlich den 0:1-Satzrückstand hinnehmen.
Der zweite Durchgang begann dann mal so gar nicht nach Konstantin Bitters Vorstellung. Schnell zog Istanbul auf 1:4 weg, Stuttgarts Cheftrainer nahm die Auszeit. Und seine Interventionen schienen an diesem Abend zu fruchten. Erst griff Krystal Rivers lang ins Istanbuler Feld an, dann blockte Britt Bongaerts zum 7:9. Und eine, die die ganze Partie lang Schwerstarbeit verrichten musste, drehte jetzt so richtig auf. Roosa Koskelo agierte überragend gegen Stysiak, im Anschluss schickte Krystal Rivers den Ball mit freundlichen Grüßen ins andere Feld. Als die US-Amerikanerin Sekunden später den nächsten Hinterfeldangriff auf die Seitenlinie zum 10:11 hämmerte, musste sogar Gäste-Coach Lavarini anerkennend nicken. Allianz MTV spielte sich jetzt völlig in einen Rausch, nervte den Favoriten gewaltig. Eline Timmerman und Maria Segura blockten im Verbund zum 15:15, im Anschluss tat es ihnen Krystal Rivers gleich. Jolien Knollema hielt ihr Team in der Crunch-Time in der Angelegenheit und dann schloss Monique Strubbe einen Pakt mit der Netzkante. Von dieser prallte der Ball zum Ass ins Istanbuler Feld – 23:22-Führung und Auszeit Fenerbahce. Ivana Vanjak blockte aus der Auszeit kommend zum 24:22, der Satzausgleich war greifbar. Zwei Satzbälle verschwendeten die Gastgeberinnen, beim dritten half Istanbul dann mit. Eigenfehler der Gäste und damit 1:1 – es war übrigens der erste Satzverlust der Türkinnen in dieser CL-Saison.
Der folgende Durchgang konnte dann unter dem Motto „das Imperium schlägt zurück“ verbucht werden. Zwar behielt Allianz MTV vor allem im Block nach wie vor die Zügel in der Hand, doch die Gäste spielten jetzt im Angriff weitestgehend kompromisslos. Einen Moment der Hoffnung gab es zwischenzeitlich, als Krystal Rivers den Ball aber sowas von auf die gegnerische Linie kleisterte (12:13), ansonsten setzten sich die „Yellow Angels“ ab. Schlussendlich war es Magdalena Stysiak vorbehalten, den zweiten Satz für ihre Farben zu sichern.
Sollte sich die spielerische Klasse und die internationale Erfahrung des türkischen Tabellenführers nun doch durchsetzen? Antwort Allianz MTV: Nein! Monique Strubbe eröffnete den vierten Satz per erstem Tempo, dann profitierte Stuttgart von gegnerischen Fehlern. Weil Krystal Rivers nach wie vor überragend angriff, zog Gäste-Coach Lavarini entnervt seine Auszeit. Nur um dann ansehen zu müssen, wie Monique Strubbe mit ihrem Block auf 11:9 pro Stuttgart stellte. Die deutsche Nationalspielerin hatte aber noch nicht genug, erhöhte per Ass auf einen Drei-Punkte-Abstand. Diesen verfestigte Maria Segura nach kurzem Istanbuler Zwischenspurt ebenfalls per Service-Winner (17:14), dann bat wieder Monique Strubbe den Gast per Block höflich zur Auszeit. Stuttgart witterte die Chance auf den Tie-Break, Britt Bongaerts spielte Krystal Rivers frei – 23:20. Eine spektakuläre Rallye samt Koskelo-Abwehr schloss Ivana Vanjak zum 24:20 ab, Eline Timmerman schickte die Partie in den wohlverdienten Tie-Break.
Das war ja schon die eigentliche Sensation, doch Allianz MTV Stuttgart gierte nach mehr. Bereits in der vergangenen Saison konnte man Istanbul an gleicher Stelle im fünften Satz besiegen, bei anderen Vorzeichen wollte „Stuttgarts schönster Sport“ jetzt das gleiche Ergebnis. Eline Timmerman schwang sich zu Beginn zur Punktesammlerin auf, ihr Einbeiner bedeutete das 4:3. Die starke Jolien Knollema, mit 16 Punkten zweitbeste Stuttgarter Scorerin, glich zum 5:5 aus und musste dann, der stabileren Annahme wegen, Jovana Mirosavljevic weichen. Und die Serbin donnerte zum Einstand das Ass zum 7:7 auf die Grundlinie, Krystal Rivers schickte beide Teams mit einer knappen Stuttgarter Führung zum Seitenwechsel. Die Anspannung in der Halle war fast zu greifen, nur Stuttgarts Nummer 13 interessierte das alles herzlich wenig. Erst holte sie den Ball quasi von der Trainerbank zurück ins Feld, nur um die SCHARRena im weiteren Verlauf des Ballwechsels explodieren zu lassen. Monique Strubbe legte das Ass zum 11:8 nach, dann drosch Maria Segura den Ball zum 12:8 auf die Linie. Und die Stuttgarter Fans trauten ihren Augen nicht, wie war das nochmal mit „niemals aufhören an etwas zu glauben“? Istanbul stemmte sich nun gegen die drohende Niederlage, Konstantin Bitter kühlte die Gemüter mit seiner letzten Auszeit herunter (12:10). Denn dann organisierte Ivana Vanjak per cleverem Tip nach artistischem Bongaerts-Zuspiel den Matchball. Und diesen verwandelte Eline Timmerman.
„Damit hätte keiner gerechnet, dass wir hier 3:2 gewinnen“, sprudelte es aus Monique Strubbe heraus. Und doch ist es wahr, hat Allianz MTV Stuttgart die Sensation vollbracht und den scheinbar übermächtigen Gegner in die Knie gezwungen. Im Hinspiel wohlgemerkt, die ganz schwierige Aufgabe wartet jetzt in Istanbul nächste Woche. Die Ausgangsposition ist aber zunächst mal nicht die schlechteste, nach diesen fünf Sätzen für ein Halleluja.
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