Am vergangenen Samstag beim erfolgreichen Heimspiel von Allianz MTV Stuttgart gegen den VfB Suhl waren zahlreiche Kinder des 46PLUS Down-Syndrom Stuttgart e.V. und ihre Betreuer zu Gast in der SCHARRena und unterstützten unsere Mädels beim Spiel lautstark und nach Kräften. Mit ihren grasgrünen Trikots fielen die Nachwuchssportler aus dem FIT-Programm des Vereins vielen Fans sofort auf und machten neugierig auf den e.V. Im Interview verrät Vorstandsmitglied Natja Stockhause mehr über die einzigartige Sportgemeinschaft.

Allianz MTV Stuttgart: Frau Stockhause, seit wann gibt es den Verein 46PLUS und welche Ziele verfolgen Sie?

Natja Stockhause: Der Verein wurde vor genau 15 Jahren gegründet, wir hatten kürzlich erst unser offizielles Vereinsjubiläum. Entstanden ist der 46PLUS Down-Syndrom Stuttgart e.V. aus einer Eltern-Initiative heraus. Es hatten sich Eltern mit Down-Syndrom-Kindern aus der Region Stuttgart zusammengetan, um einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, sich gegenseitig weiterzuhelfen und Neu-Betroffenen auf dieser Basis Mut zu machen.
Langfristiges Ziel des Vereins ist es, Berührungsängste im Umgang mit betroffenen Menschen abzubauen, aber auch mit guter Öffentlichkeitsarbeit ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür zu schaffen, dass die Kids mit viel Spaß mitten im Leben stehen! Hier haben wir durch zahlreiche Öffentlichkeitskampagnen bereits viel Aufmerksamkeit schaffen können, unter anderem mit Plakat-Serien (zum Beispiel in Stuttgarts U-Bahn-Stationen) und den 46PLUS-Fotokalendern mit Prominenten wie Dr. Dieter Zetsche oder Harald Schmidt. In Szene gesetzt hat diese Kalender übrigens Profi-Fotografin (und 46PLUS-Gründungsmitglied) Conny Wenk.
46 PLUS hat im Großraum Stuttgart inzwischen über 170 Mitgliedsfamilien, wobei sich die Wohnorte der Mitglieder bis ins Allgäu hinunter und hinauf in den hessischen Raum erstrecken.

Allianz MTV Stuttgart: Der Verein bietet verschiedene Aktivitäten für seine Mitglieder an, Sie selbst sind mit einer Sportgruppe hier in der Scharrena ...

Natja Stockhause: Ja, die Gruppe gehört dem Sportprojekt FIT (Förderung Inklusion Training) an, das vor vier Jahren ins Leben gerufen wurde. Ich selbst arbeite seit über 30 Jahren als Übungsleiterin Leichtathletik bei Salamander Kornwestheim, mein Sohn Timo hat selbst das Down-Syndrom, also wurde ich von anderen Eltern angesprochen, die ehrenamtliche Tätigkeit auf 46PLUS zu übertragen und auch dort Sport organisiert anzubieten. Ziel dieser Gruppe sollte es sein (und ist es bis heute), den Kids eine breite Sportausbildung mit auf den Weg zu geben – aufgrund meiner Person mit Schwerpunkt im Sommer auf der Leichtathletik – wir aktivieren aber auch Fachtrainer und nehmen dann blockweise Fußball, Handball und andere Sportarten hinzu.

Allianz MTV Stuttgart: Was löst Sport bei den Kindern emotional aus? Wo liegen die Herausforderungen?

Natja Stockhause: Im Kleinkindalter können die Down-Syndrom-Kinder ja noch alles mitmachen. Aber wenn sie dann älter werden, so ab zehn Jahren ungefähr, merkt man immer deutlicher, wie die Schere im Leistungsvermögen zwischen Kindern mit Behinderung und den normal entwickelten auseinandergeht. Damit hier keine Frustrationsgrenze gegenüber dem Sport selbst entsteht, bietet 46PLUS das FIT-Sportprojekt an. Die Wurzeln hierfür liegen aber eigentlich schon zehn Jahre zurück, als ich Samstags-Trainings angeboten hatte zur Vorbereitung auf das jährliche Down-Syndrom-Sportler-Festival in Frankfurt mit mehr als 800 Teilnehmern pro Jahr (vom Kind ab 4 Jahren bis hin zu Erwachsenen). Stets ein großes emotionales Highlight für alle Beteiligten! Die Gruppe hatte zunächst 16 Teilnehmer im ersten Jahr, wurde aber immer größer – inzwischen sind es mehr als 60 Leute. Da haben wir erkannt: »Da ist eine Lücke, da müssen wir dauerhaft etwas anbieten!“ Salamander Kornwestheim unterstützte uns dabei nach Kräften, mit einem Spendenmarathon konnten sagenhafte 26.000 Euro eingenommen werden! Auf dieser Basis stellten wird das FIT-Projekt auf die Beine. Wir bauten ein Übungsleiter-Team auf, wobei der Betreuungsaufwand mit sechs Trainern pro Trainingseinheit natürlich deutlich höher ist als bei einer gewöhnlichen Sportgruppe. Aber die Gruppe wächst und wächst, es gibt inzwischen sogar eine Warteliste. Erst vor kurzem haben wir wieder eine Gruppe gesplittet, doch ich selbst habe schon wieder 30 Kinder wöchentlich im Training!
Das Projekt gibt den Kindern so viel Selbstbewusstsein, da ist so viel toller Mannschaftgeist zu spüren – und es sind langjährige Freundschaften entstanden. Insofern haben wir doch jetzt schon viel mehr erreicht als unsere ursprüngliche Zielsetzung war.

Allianz MTV Stuttgart: Allianz MTV Stuttgart lädt fast schon traditionell immer wieder Sportgruppen aus der Region zum »Bundesliga-Schnuppern« in die SCHARRena ein – auch aus dem Behindertensport. Man denke da nur an die »hauseigenen« MTV-Wheelers/Rollikids. Wie kommt denn der Leistungssport bei den Kindern an? Die wollen sich doch sicher auch untereinander messen? 

Natja Stockhause: Nicht nur untereinander, na klar! Im Moment stehen wir selbst kurz vor der Teilnahme an unseren ersten Winterspielen bei den Special Olympics in Todnauberg im Schwarzwald. Wir werden im Alpin-Ski und Schneeschuh-Laufen antreten. Aber wir sind auch inklusiv unterwegs, hatten bei den Special Olympics im Sommer 2018 in Kiel eine 4x100m-Staffel in der Leichtathletik am Start, die bei den nationalen Spielen Gold geholt hat! Also im bundesweiten Vergleich. Ein toller Erfolg, wir sind alle sehr stolz darauf! Sie sehen also: JA, natürlich wollen sich die Kids miteinander messen – und beäugen entsprechend auch ganz genau, was die Mädels da auf dem Platz so an Leistung abrufen ...