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Mit 26 Punkten war Simone Lee die Topscorerin des Abends. (Foto: Tom Bloch  -  www.tombloch.de)

Mit 26 Punkten war Simone Lee die Topscorerin des Abends. (Foto: Tom Bloch - www.tombloch.de)

Einen Volleyball-Leckerbissen bekamen am gestrigen Samstagabend 2.250 Besucher in der SCHARRena in Stuttgart zu sehen. Der amtierende Deutsche Meister Allianz MTV Stuttgart erkämpfte sich gegen seinen Verfolger in der Bundesliga-Tabelle, den SC Potsdam, einen tollen 3:2-Sieg. Mit ein bisschen mehr Fortune hätte das Team von Chefcoach Giannis Athanasopoulos das Match auch glatt mit 3:0 gewinnen können, die Chancen dazu waren definitiv da. Doch dann hätten die Fans zwei spektakuläre Sätze verpasst – und die ebenfalls glanzvolle Leistung der Brandenburgerinnen wäre nicht gewürdigt worden …


Beide Teams, die in den letzten Partien nur begrenzt überzeugen konnten, weil sie augenscheinlich unter der Verletzungspause ihre „Starspielerinnen“ Krystal Rivers und Brittany Abercrombie litten, starteten nervös in die Partie, vor allem Stuttgart wackelte anfangs noch in der Annahme. Zudem war zu erkennen, dass Simone Lee mit der Diagonalposition, auf der sie eingesetzt wurde, erst noch „warm werden“ musste. So rannte Allianz MTV zu Beginn stets einem kleinen Rückstand hinterher, der erst durch ein Aufschlagspiel von Ainise Havili mit drei Punkten am Stück zum 11:11 egalisiert werden konnte. Schon hier war erstmals zu erkennen, dass bei Potsdam die Nerven schnell blank lagen, sobald einige Punkte hintereinander verloren gingen. Nach zwei Niederlagen in Folge fehlt es den Brandenburgerinnen einfach am Selbstvertrauen, kaum verwunderlich. Am deutlichsten war dies Ana Escamilla anzumerken. Dank einer zu diesem Zeitpunkt noch angriffsstarken Laura Emonts blieb Potsdam aber zunächst trotzdem vorn, brach dann aber zur Crunchtime bei einem Fünf-Punkte-Aufschlagspiel von Juliet Lohuis ein und kam nicht mehr auf die Beine. Von den letzten zwölf gespielten Punkten gewann Potsdam nur drei, der Satz ging nach einem Aufschlagfehler von Mittelblockerin Sofija Medic mit 25:19 an Stuttgart.

Auch in den zweiten Durchgang starteten die beiden Spitzenteams nervös, wobei Roosa Koskelo & Co. ihre Lethargie deutlich schneller abzuschütteln wussten. Die Angreiferinnen von Potsdam versuchten zunehmend, auf „Tusch“ zu spielen, den Block anzuschlagen, was häufig misslang. Im Gegensatz dazu kam Allianz-MTV-Neuzugang Lee langsam auf Betriebstemperatur und glänzte sprungstark mit zahlreichen Scores, vor allem aus dem Hinterfeld. Zur Satzmitte brach die Verunsicherung bei den Brandenburgerinnen wieder auf, weil Stuttgart mit dem Aufschlag immer mehr Druck machte. Martina Samadans Aufschlagspiel zum Satzende hin wurde dann zum Alptraum für die Potsdam-Abwehr. Sechs Punkte in Folge konnte Stuttgart einsacken, dabei „killte“ Alexandra Lazic lässig einen Bauerntrick-Versuch von Valerie Nichol, drückte einen Netzroller elegant in eine SCP-Abwehrlücke und Simone Lee lobte einen Ball völlig emotionslos über die gesamte Potsdamer Abwehr hinweg hinten rechts ins Feldeck, 20:12. Stuttgart übte jetzt ganz klar Dominanz aus, auch mit der danach eingewechselten zweiten Riege mit Jennifer Hamson, Jenna Rosenthal und Annie Cesar. Den Satzball verwandelte Martina Samadan durch den knallharten Block eines Aufsteigers von Sofija Medic in der Feldmitte zum 25:15. Insgesamt strahlte Samadan den ganzen Abend Führungsstärke aus und trieb ihr Team immer wieder an.

Richtig interessant wurde das Spiel jedoch erst ab dem dritten Satz, weil Potsdam nun alles auf eine Karte setzte. Die Fehlerquote sank, der Angriff wurde stärker und immer wieder glänzend von Valerie Nichol in Szene gesetzt. So war es jetzt endlich das erwartete Spiel zweier Spitzenteams auf Augenhöhe. Keine Mannschaft konnte sich entscheidend absetzen, Antonia Stautz, Juliet Lohuis und Simone Lee glänzten immer wieder mit starken Angriffen, insgesamt gewann aber vor allem die Defensive und das Blockspiel an Qualität. Als dann beim Stand von 17:17 wieder einmal Juliet Lohuis zu einer Aufschlagserie ansetzte, die zu vier Punkten am Stück führte, waren sich viele im Publikum schon sicher, dass Potsdam erneut seiner Nervosität würde Tribut zollen müssen und das Spiel somit entschieden war. Doch SCP-Trainer Guillermo Hernandez reagierte sofort mit dem „Doppelwechsel“, brachte Denise Imoudu im Zuspiel und Ana Escamilla für die ausgebrannt wirkende Diagonale Laura Emonts. Dieser Schachzug brachte das Momentum schlagartig auf Potsdams Seite – und vier Punkte zum Ausgleich, 21:21. Kurze Zeit später war der Satz mit dem Rückwechsel und Valerie Nichol an der Aufschlagslinie dann urplötzlich für Stuttgart verloren (23:25). Ein Angriff von Stautz über links, ein Annahmefehler auf Stuttgarter Seite sowie ein geblockter Hinterfeldangriff von Simone Lee führten kurzerhand zur „Verlängerung“ des Matchs, das für manch einen auf Stuttgarter Seite beim Stand von 21:18 sicherlich schon halbwegs 3:0 gewonnen war …

Und jetzt war Allianz MTV verunsichert! Der Tabellendritte zeigte sein großes Potenzial auf, glänzte mit perfekter Annahme, harten Aufschlägen und schnellen Sideouts. Zur ersten technischen Auszeit war es plötzlich mucksmäuschenstill in der SCHARRena, auf der Anzeige zu lesen war vierter Satz, 2:8. Ein absolut kurioser Punkt markierte dann aber die Rückkehr von Stuttgart in diesen Satz: Ein Angriff von Celine van Gestel wurde vom schnellen Potsdamer Block abgefangen, der Ball schlug auf van Gestels Kopf auf und flog im hohen Bogen ins hintere Potsdamer Feld. Der umjubelte Punkt war das Signal zur Aufholjagd: Zwar dominierte Potsdam weiterhin die Annahme und das schnelle Spiel nach vorn, Allianz MTV aber kämpfte und glänzte mit starker Defensiv- und Blockleistung. Vermehrt kam es zu langen Ballwechseln, mit dritten, vierten oder gar fünften Angriffsversuchen. Bei 15:16 war Stuttgart wieder an Potsdam dran, mit einem zu lang geschlagenen Aufsteiger durch die Mitte von Lisa Gründing glich der Deutsche Meister zum 17:17 aus. Doch kein Team ließ mehr nach, beide Mannschaften agierten nun selbstbewusst, die Partie war völlig unerwartet zu einer Spitzenbegegnung auf höchstem Niveau geworden. Stuttgart ging in diesem Satz nur einmal in Führung – und das geschickterweise zum 25:24, was Matchball bedeutete. Doch Jennifer Hamsons Schlag blieb im dritten Stuttgarter Angriffsversuch in diesem Ballwechsel an der Netzkante hängen. Kurze Zeit später verschlug Juliet Lohuis ihren Aufschlag und somit den zweiten Matchball. Potsdam wiederum zeigte sich hier cleverer und nutzte gleich den ersten Satzball zum 26:28, wobei Antonia Stautz den Stuttgarter Block geschickt außen anschlug.

Tiebreak also. Und die Halle durfte sich auf noch mehr Werbung für den Volleyball-Sport freuen. Auf beiden Seiten blieben Annahme und Abwehr auch in Durchgang Nummer fünf stark, Stuttgart allerdings zeigte jetzt wieder etwas mehr Durchschlagskraft im Angriff als Potsdam, konnte sich durch einen Aufsteiger von Martina Samadan mit 8:5 zum Seitenwechsel leicht absetzen. Die Führungsspielerinnen Samadan, Lee und Lazic übernahmen Verantwortung und punkteten konsequent, Hernandez‘ Versuch, den Doppelwechsel-Coup aus Satz Nummer drei zu wiederholen, scheiterte diesmal. So konnte Allianz MTV den Vorsprung mit großem Kampf bis auf die „Zielgerade“ retten – und auch wenn Annegret Hölzigs Außenangriff über links noch im Stuttgarter Feld zum 14:12 einschlug: Wer anderes als die kurze Zeit später zur MVP gekürte Martina Samadan beendete das Match mit einem Aufsteiger durch die Mitte (nach schwacher Annahme) und erlöste die Stuttgarter Fans von einer durchaus möglichen Niederlage. Die Schwäbinnen haben jetzt in der Tabelle wieder fünf Punkte Vorsprung vor Potsdam. Der eigentliche Sieger der Punkteteilung in Stuttgart ist jedoch der spieltagsfreie Schweriner SC, der sich virtuell weiter von den Verfolgern absetzen konnte. Doch nach so einem Topspiel, das absolut Werbung für den Volleyball-Sport der Frauen in Deutschland gemacht hat, ist dies allerhöchstens eine Randnotiz.



Starting Six Stuttgart:
Havili – van Gestel – Samadan (MVP) – Lohuis – Lee – Lazic – Libera: Koskelo
 

Starting Six Potsdam:
Nichol (MVP) – Stautz – Medic – Gründing – Emonts – Escamilla – Libera: Jegdic