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Traum-Duell, Abwehrschlacht, Mega-Unterhaltung: All das war und bot die Partie Stuttgart gegen Schwerin. (Foto: Tom Bloch | www.tombloch.de)

Wer gestern Abend nicht einer der 2.250 Fans in der SCHARRena in Stuttgart gewesen ist, oder zumindest die Live-Übertragung des Spitzenspiels zum Hauptrundenabschluss der Volleyball Bundesliga der Frauen im TV gesehen hat, hat definitiv etwas verpasst! Das Match Allianz MTV Stuttgart gegen den Schweriner SC war absolute Werbung für den Volleyball-Sport und die anstehenden Playoffs – ein Spiel, das eigentlich nur Gewinner verdient hätte.

Am Ende war es dann aber der Tabellendritte aus Norddeutschland, der das etwas „glücklichere Händchen“ hatte und in der Crunchtime des Tiebreaks einfach cleverer agierte. Für Stuttgart ging es in dem Match eigentlich eh um nichts mehr, war der erste Tabellenplatz doch schon zuvor gesichert; Schwerin konnte sich durch den Sieg und das engagierte Spiel auch nicht mit Tabellenplatz zwei belohnen, hierfür wäre ein Strauchler von Dresden gegen Erfurt nötig gewesen.

Im ersten Satz gab Allianz MTV Stuttgart klar den Takt vor und zeigte auf, warum das Team von Giannis Athanasopoulos als Titelanwärter Nummer eins gilt. Auch ohne Molly McCage, Stuttgarter Punktegarantin am Netz, die wegen einer Zahn-OP fehlte, setzten Renáta Sándor & Co. die Schweriner Annahme mit Power-Aufschlägen von Beginn an unter Dauerdruck. Entsprechend fehlte Denise Hanke die Exaktheit im Zuspiel, sodass der Stuttgarter Block die gefürchteten Angriffswellen von Louisa Lippmann und Greta Szakmáry gut im Griff hatte. Allianz MTV zog auf 8:4 zur ersten technischen Auszeit davon – und hielt das Ergebnis mit abwechslungsreichem Angriffsspiel, nahezu perfekter Annahme und hohem Druck bis zur zweiten Auszeit stabil (16:12). Wenn man überhaupt etwas am Stuttgarter Spiel bemängeln könnte, so wäre es der weiterhin fehlende verlässliche „Punktetöter“ auf der Außenposition – zu viele Chancen wurden hier liegen gelassen. Aber das ist angesichts der personellen Besetzung von Stuttgart auf dieser Position wirklich „Klagen auf allerhöchstem Niveau“! Doch so wurde es zur Crunchtime des ersten Satzes doch noch einmal knapp, schließlich ist Schwerin ja keine Laufkundschaft … Lippmann, von der zuvor nahezu nichts zu sehen war, drehte plötzlich auf und führte ihr Team immer näher und bis auf 20:18 heran. Doch Stuttgarts Mittelblockerin Paige Tapp und Micheli Pissinato bewiesen ein ums andere Mal, dass sie Molly McCage bestens ersetzen konnten, und entschieden letztlich mit insgesamt sieben langen, über Kopf zu gespielten Einbeinern den Satz zugunsten von Stuttgart. Mit einem schnellen Angriff über links machte Renáta Sándor am Ende „den Deckel drauf“, 25:23.

Vom zweiten Satz an ersetzte die junge Nika Daalderop die etwas glücklos agierende Michaela Mlejnková bei Stuttgart auf Außen. Schwerin hatte seine Annahmeschwäche abgelegt – und so entwickelte sich fortan eine „Abwehrschlacht“ auf allerhöchstem Niveau, in dem die Mittelblockerinnen auf beiden Seiten des Netzes immer wieder zu glänzen wussten – aber auch die Blocknah- und -fernsicherung mit spektakulären Rettungstaten. Vor allem Renáta Sándor zeigte einige beeindruckende Flugeinlagen und höchstes Ballgefühl! Louisa Lippmann war jetzt voll präsent und prägte das Angriffsspiel der Mecklenburgerinnen, während bei Greta Szakmáry Licht und Schatten nahe beieinander lagen. Dreier-Breakserien prägten des Satz: Sprang Schwerin bei Sprungaufschlag Hanke mit drei Punkten davon, folgte prompt eine Aufschlagserie von Femke Stoltenborg oder Paige Tapp, sodass sich die Teams unter dem Strich bis zum 16:16 nicht viel nahmen. Jeder Punkt war schon zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten hart umkämpft, es gab kaum Spielzüge, die trotz guter Annahme im ersten Anlauf in Punkte umgemünzt werden konnten. Dazu war das Blockspiel einfach zu gut. Die Entscheidung zugunsten von Schwerin läutete erneut Lippmann im vierten Angriffsversuch mit einem tollen Angriff über rechts ein, diagonal auf die Linie geschlagen. Danach ein Ass von Jelena Oluic, die sich bei Schwerin immer mehr als Alternative für Szakmáry herauskristallisierte. Dem 17:20-Rückstand lief Stuttgart vergeblich hinterher, auch ein Wechsel auf Pia Kästner im Zuspiel und Nikoleta Perović (Diagonal) brachte nichts mehr. Die Zeit der Breaks war vorbei, in der Crunchtime ließ Schwerin nichts mehr zu, auch wenn Micheli Pissinato mit tollen Punkten glänzte und Paige Tapp einen ersten Überkopf-Einbeiner in diesem Satz verwandelte. Wo war diese Überkopf-Welle aus dem ersten Satz geblieben, fragte man sich da, die Antwort eigentlich schon wissend: Für diesen komplexen Spielzug war die Annahme in Richtung Stoltenborg einfach nicht mehr gut genug gewesen. Schwerins Druck war höher als in Satz 1. Und so verlor Stuttgart schließlich auch durch einen Annahmefehler den zweiten Satz mit 21:25, kleinste Unkonzentriertheiten wurden während des gesamten Matchs sofort bestraft.

Auch in Satz Nummer 3 überzeugten die Mittelblocker und Defensivarbeiter weiterhin auf ganzer Linie. Und das Breakserien-Duell zwischen Femke Stoltenborg und Paige Tapp beim Aufschlag ging in eine weitere Runde. Mit einem Ass untermalt, brachte Stoltenborgs erste Serie gleich ein 5:0, später eine Tapp-Serie das 10:5, nach kurzer Schweriner Aufholjagd. Beim Stand von 13:7 nahm Felix Koslowski Denise Hanke, Louisa Lippmann und kurze Zeit später auch Jennifer Geerties vom Platz, gab quasi der zweiten Reihe eine Chance. Da zur gleichen Zeit das Dresden-Match gegen Erfurt gerade zu Ende gegangen war, lag der Verdacht nahe, dass der Trainer womöglich seine Topleute zugunsten des schweren CEV-Cup-Spiels am Dienstag gegen Istanbul schont. Allianz MTV hatte etwas weniger Schwierigkeiten mit der zweiten, trotzdem starken und kämpferischen Schweriner Garde, und konnte auf 20:13 davonziehen. Die Blockhoheit war nun wieder klar auf Stuttgarter Seite, auch wenn Lauren Barfield mit ihren 195cm Körpergröße den Tabellendritten noch auf 23:18 heranbringen konnte. Doch ein diagonal ins Aus geschlagener Angriff von Jelena Oluic über links brachte Stuttgart den Satzgewinn mit 25:19.

Der vierte Satz war ein Abbild des dritten – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Schwerin zog schnell bis auf 4:10 davon, angetrieben jetzt von der zuvor teilweise unsicher wirkenden Jennifer Geerties, Lauren Barfield und Louisa Lippmann. Die erste Garde war also doch zurück – von wegen Schonung! Giannis Athanasopoulos wechselte viel durch, unter anderem auch wieder im Zuspiel und auf Außen, konnte aber die doppelt so hohe Fehlerquote gegenüber Schwerin auch auf diese Weise nicht einbremsen. Bei Schwerin lief es jetzt, Stuttgart musste jeden einzelnen Ball für einen Punkt regelrecht auf den Boden „kämpfen“. Beta Dumančićs Danke-Ball schnell durch die Mitte zum 13:20 und reichlich Punkte durch die Führungsspielerinnen Geerties, Lippmann und Barfield brachten Schwerin deutlich lockerer als zuvor zum Satzball, den eine weiterhin kämpferische Micheli Pissinato einfach nicht wahrhaben wollte und ihr Team unter dem Jubel der Zuschauer mit einem kurzen Überkopf-Einbeiner auf halbrechts und einem Ass noch auf 20:24 heranführte. Doch ein Longline-Angriffssschlag von Julia Schaefer knapp ins Aus im fünften! Spielaufbau nach zahlreichen Blocks besiegelte schließlich das 20:25 und 2:2 nach Sätzen.

Der Tiebreak musste also die Entscheidung in diesem von „wahnwitzigen“ Abwehrleistungen geprägten Match bringen. Und wieder war es Schwerin, das am Ende gegen Stuttgart die Nase vorn hatte. Beim Stand von 2:7 hatten Jennifer Geerties bereits zweimal und jene Louisa Lippmann, die den ersten Satz noch „verschlafen“ hatte, schon viermal gepunktet. Annahme und Zuspiel waren jetzt bei Schwerin ähnlich perfekt wie im ersten Satz bei Stuttgart. Also keine Chance mehr für Allianz MTV, das Match noch einmal umzudrehen? Von wegen … der Aufschlagdruck wurde ein weiteres Mal erhöht – und bei Stuttgart übernahmen ebenfalls die Führungsspielerinnen Pissinato und die zurückgekehrte Michaela Mlejnková Verantwortung. Nach einem clever seitlich „weggewischten“ Drop-Block von Micheli Pissinato stand es plötzlich nur noch 6:8, die Halle tobte. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass kämpferische Stuttgarterinnen einen hoffnungslosen Rückstand in einen Sieg umwandeln. Doch Schwerin reagierte, machte die nächsten beiden extrem hart umkämpften Punkte. Dann glänzte wieder Micheli Pissinato mit einem Einzelblock gegen Jelena Oluic … zuvor war der Ball schon sechs Mal von der einen auf die andere Seite des Netzes gewechselt, ohne Bodenberührung. Beim 10:11 war Stuttgart endgültig wieder dran, der Punkt ging erneut an Micheli Pissinato, die einen Direct-Winner-Punkt von Lauren Barfield nach zu langer Stuttgarter Abwehr spektakulär im Einzelblock verhinderte. Spätestens jetzt war in der SCHARRena die Hölle los. Doch dann ging alles ganz schnell: Ein langer Ball von Rückkehrerin Greta Szakmáry ins hintere linke Eck des Feldes sowie unter anderem ein Schweriner Longline-Ball direkt auf die Linie brachten das 10:14. Ein Dreier-Break zum absolut ungünstigsten Zeitpunkt! Ein Schnellangriff von Micheli Pissinato über rechts und ein Geerties-Ball, der an der Netzkante hängenblieb, ließen für Schwerin zwar noch zwei Matchbälle verpuffen. Ein cleverer Lob von Lippmann jedoch über den ungesicherten Stuttgarter Dreierblock brachte dann aber doch die Entscheidung, 12:15.

Der Schweriner SC hat Allianz MTV Stuttgart erneut besiegt, aufgrund des Spielverlaufs vielleicht zu Recht. Am Ende waren die Mecklenburgerinnen vielleicht das 2% stärkere zweier absoluter Topteams auf Augenhöhe. „Wir werden unsere Fehler jetzt analysieren, es gibt aber keinen Grund und auch keine Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken!“, so Trainer Giannis Athanasopoulos direkt nach dem Spiel. „Natürlich verliert man nicht gerne, das ist klar. Aber man darf nicht vergessen: Für uns ging es hier um gar nichts mehr, wir waren ja schon unumkehrbar erster der Hauptrunde. Und bei einem Spiel auf diesem Niveau entscheiden dann eben schon Kleinigkeiten wie zum Beispiel unsere hohe Fehlerquote im vierten Satz.“ Stuttgart blickt jetzt voraus auf den Dienstag und das Spiel im CEV-Cup-Halbfinale gegen Minchanka Minsk. Die Spielerinnen haben bewiesen, dass sie in Topform sind und „auch das Publikum ist bereit“, strahlt Athanasopoulos. „Ich glaube nicht, dass diese Atmosphäre in der SCHARRena überhaupt noch besser werden kann!“ Und die Unterstützung von den Rängen werden die Mädels brauchen gegen eine Mannschaft, die quasi mit dem weißrussischen Nationalteam gleichzusetzen ist. Und danach geht’s in die Playoffs gegen Vilsbiburg.

Starting Six Stuttgart:
Stoltenborg – Mlejnková – Tomazela Pissinato – Tapp (MVP) – van Daelen – Sándor – Libera: Pušić

Starting Six Schwerin:
Hanke – Szakmáry – Barfield – Dumančić – Lippmann (MVP) – Geerties – Libera: Carocci